Montag, 14. September 2015 Es sind Menschen. #refugees ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 13.09.2015, Sonntag. Es ist Sonntag, kyriakē hēmera, der „Tag des Herrn Jesus Christus“. Der wöchentliche Feiertag in den meisten vom Christentum geprägten Ländern, an dem in fast allen Kirchen der Gottesdienst gefeiert wird. Verschiedenes habe ich an diesem Spätnachmittag noch im Ohr. Der Zugverkehr von Österreich wurde eben um 17 Uhr gestoppt, die Grenzen werden dicht gemacht, ein Diener des Volkes, Innenminister Thomas de Maizière, hat es soeben so verkündet. In einem Blog, der sich journalistisch als qualitativ hochwertig und neutral - professionell geriert, wurde ich gerade als "Hilfsbesoffener" tituliert, zusammen mit etlichen anderen Menschen, die Nachts z.b. am Hauptbahnhof Mannheim Flüchtlingen Unterstützung anbieten. Jubelnd würden wir auch kriminelle Drogendealer willkommen heißen, hieß es da ... Ich war noch unschlüssig, ob ich mich aufraffen sollte. Kopien, die ich am Samstag machen wollte, von den neuen "Hilfezetteln", konnten dann doch nicht erstellt werden und überhaupt ... Plötzlich hieß es über facebook, mutmaßlich käme um ca. 19 Uhr ein Zug mit hunderten Flüchtlingen - direkt nach Mannheim, nicht nur zum Halt und zur Durchfahrt. Überlegen brauchte ich nun nix mehr. 18 Uhr war vorbei. Schnell ein paar Sachen in eine Tasche geworfen, dem Rasierapparat einen entschuldigenden Blick zugeworfen: und los. Am Sonntag mit der StraBa? Das würde zu lange dauern. Mit dem Taxi schaffte ich es glücklicher Weise bis 18:55 Uhr. Auch sonst war das eine positive Sache. Der Fahrer hatte selbst Migrationshintergrund, interessierte sich sehr - und erhielt auf Nachfrage gern meine Mailadressen. :-) Das Gerücht stellte sich zunächst als falsch heraus. Es hieß gar, die Flüchtlinge würden direkt mit Bussen an ihre Bestimmungsorte gefahren. Auch nicht schlimm. Zwar bin ich nicht so gewand und schnell im Verpacken und Arrangieren, ein langsamer Denker und Begreifer halt. Wie Einstein. :-)) Aber irgendwie kann man sich immer nützlich machen. Einmal klopfte ich an die Scheibe eines haltenden Zuges, weil mich jemand aufmerksam machte, da seien Flüchtlinge. So konnte ich kurz vor Abfahrt noch mein "Refugees welcome!" Schild an das Fenster halten - und bekam von 6 Personen ein überraschtes und freundliches Lächeln und Winken. Überhaupt halte ich dieses Schild gern hoch. Es begrüßt freundlich - und signalisiert, dass wir da sind! Mehrfach wurde ich in den vergangenen Tagen fotografiert, auch heute. Das finde ich gut, das gefällt mir! Und nein: NICHT weil es "Burkhard Tomm-Bub" ist - sondern weil "irgend so ein Typ" öffentlich -eben und gerade jetzt- eben gerade dieses Schild hoch hält! Wir bekamen wunderbare Umhänger von einem Helfer mitgebracht (siehe Fotos). Auch die Rückseite ist schön, da ist Jakubs genialer Hilfezettel darauf - allerdings gezwungener Maßen sehr klein - wir werden größere Zettel (auch) zum mitnehmen zusätzlich anfertigen! Unter anderem die Firma BackWerk stiftete Lebensmittel - vielen Dank! So gab es noch die eine und andere positive Begebenheit, auch die Kooperation mit den DB - MitarbeiterInnen empfand ich als sehr angenehm. Dann aber wurde es "spannend". Zunächst war gar von zwei Zügen die Rede. Dann nur noch von einem - dieses aber ein Sonderzug, ausschließlich mit Flüchtlingen besetzt. Der Zug würde kurz in Mannheim halten, niemand durfte aussteigen, das war bald schon klar. Dieser hielt auf einem anderen Gleis und uns war klar, dass die Flüchtlinge sicherlich fast jede Art von Unterstützung sehr gut würden gebrauchen können! Wir wuchteten alles was wir hatten hinüber. Das war nicht wenig, auf den Fotos kann man das hier nicht so gut einschätzen (im Endeffekt aber leider keineswegs zuviel). Mit den DB - Bediensteten wurde kooperativ ein Kompromiß ausgehandelt - wir würden 10 Minuten haben, durch den Zug zu gehen und unsere Hilfsgüter zu verteilen. Alle mussten in exakt eine Tür einsteigen und dort auch später wieder hinaus. Zählappell. Einteilung nach "Warengruppen". Miniteambildung. Links-Rechts-Verteilung. Das lief! Nicht 1000% perfekt. Wie denn auch, bei einer Premiere dieser Art. Aber wirklich sehr gut. Eine Helferin blieb draussen eingeteilt, alle anderen würden reingehen. Der Zug lief ein. Leichte Konfusion. Welche Tür denn nun? Nicht vielleicht doch zwei? Nein. Diese. Sehr schneller Laufschritt. Und rein und los! Nach etwa 10 Minuten wurde über die Innenlautsprecher durchgesagt, dass der Zug in einer Minute wieder verschlossen würde und weiter führe. Bis auf zwei oder drei von uns schafften das auch alle - auch die restlichen ließ man dann aber natürlich doch noch aussteigen. Ich bin insgesamt ganz klar ein emotionaler Mensch. Was die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe angeht, glaubte ich jedoch durchaus die notwendige "professionelle Distanz" zu haben, die ich hauptberuflich in manchen Arbeitsbereichen ja auch aufbringen muss. Weiterhin hatte ich mir zurecht gelegt, dass ich nichts besonderes täte. Ich sehe das ja als selbstverständliche Menschenpflicht an, was da zu tun ist. Ich muss zugeben. Das geriet heute ins Wanken. Ich könnte nicht einmal richtig erklären, warum eigentlich genau. Da war ein Zug, ein ganzer Zug voller Menschen. Echter, lebender Menschen. Ja, natürlich. Die "Besetzung" war sehr gemischt. Junge Männer. Familien. Kinder. Kleine Kinder! Einem schlafenden Kind legte ich ein Stofftier in die Arme - und schnell weiter. Links und rechts Lebensmittel reichen. In die Hand drücken. Die große Tasche öffnen und schnell aussuchen lassen. Bei einer Familie verweilten mein Teamkollege und ich einige Sekunden. Das kleine Kind bekam ein kleines Metall-Auto. Fast waren wir schon weiter - da krabbelte es hinter dem Kind - und ein noch jüngeres lugte unvermutet hervor. Wir stoppten noch mal -und natürlich gab es ein weiteres Auto! :-) Die Tasche war leer. Ein paar Schritte hasteten wir aber dennoch weiter. Zwischen den Wagons war Mineralwasser und ähnliches gestapelt. Gut so! Dann die laute Durchsage: "Noch eine Minute ...!" Also schnell raus. Den Zug draußen entlang gelaufen, den Kollegen ganz hinten wild gewunken. Sie hasten nun auch in Richtung der Tür. Gut. Ich gehe den Zug entlang. Vielleicht ist es albern, vielleicht übertrieben oder "ornamental", wie es in Reiseführern zuweilen heißt. Aber wie schon beim Hinausgehen mache ich bei jedem, der mich durch Fenster sieht, die komplette arabische Geste des Berührens von Stirn, Mund und Herz. Wenige reagieren nicht. Einige erwidern automatisch. Etliche lächeln, sind etwas überrascht, freuen sich. Der Zug fährt an. Dann ist er weg. Ich habe in viele Augen geschaut. Genervte, müde, mürrische. Resignierte, traurige und auch etliche verzweifelte. Kinderaugen. Wir haben alle Sache ausgegeben. Das war eine Menge. Aber nicht genug. Die Gruppe ist ungewohnt still. Ich gehe ein paar Schritte weg. Ich habe Tränen in den Augen. Es sind Menschen. Verdammt noch mal - es sind MENSCHEN! Burkhard Tomm-Bub P.S.: Dieser Artikel ist gänzlich copyrightfrei - darf gern übernommen werden!